Ich sende diesen Artikel zeitgleich zu der Rede, die ich gerade auf dem Friedhof anlässlich
des Volkstrauertages halte.
Liebe Jugendliche, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
für viele Menschen, besonders für die Jüngeren unter uns, wirkt der Volkstrauertag heute manchmal weit entfernt. Die meisten von euch / Ihnen kannten niemanden persönlich, der die Weltkriege erlebt hat. Es gibt keine eigenen Erinnerungen mehr, keine Gespräche mit Zeitzeugen, keine direkten Erzählungen aus dem Familienkreis.
Und trotzdem stehen wir heute hier – weil die Geschichte uns weiterhin betrifft, selbst wenn sie nicht mehr Teil unseres eigenen Lebens ist.
Wir gedenken heute der Millionen Menschen, die in den Kriegen des vergangenen Jahrhunderts ihr Leben verloren haben: Soldaten, die nicht zurückkehrten, Familien, die durch Bomben, Hunger oder Vertreibung zerstört wurden, und Menschen, die unter Diktaturen litten und deren Stimmen für immer verstummten.
Für euch, für Sie, die diese Zeit nicht erlebt haben, kann das schnell abstrakt wirken. Es sind Menschen auf schwarz-weißen Fotos, Namen auf Gedenksteinen, Kapitel im Geschichtsbuch.
Doch hinter jedem dieser Namen stand einmal ein Leben wie unser eigenes – mit Hoffnungen, Humor, Fehlern, Träumen. Mit einer Zukunft, die ihnen genommen wurde.
Die Schriftstellerin Ricarda Huch hat gesagt:„Gedenken heißt nicht die Vergangenheit festzuhalten, sondern aus ihr Kraft zu schöpfen und aus ihr zu lernen“
Gedenken bedeutet also nicht, in der Vergangenheit stecken zu bleiben – sondern die Erfahrungen anderer zu nutzen, damit wir klüger handeln können.
Mich bewegt immer wieder ein Satz aus einem Brief eines jungen Soldaten, der kurz vor seinem Tod an seine Mutter schrieb:„Ich hoffe, Mutter, dass die Welt einmal klüger sein wird als wir es waren.“
Diese Worte stammen von jemandem, der so alt war wie viele von euch heute. Sie erinnern uns daran, wie viel Verantwortung jede Generation trägt – auch die, die keine eigenen Erinnerungen mehr an Krieg und Diktatur hat.
Wir leben heute in einer Welt, die trotz allem nicht frei von Konflikten ist. Die Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten und in anderen Regionen der Welt zeigen uns, wie fragil Frieden bleibt. Und viele von euch, von Ihnen erleben diese Konflikte vor allem über Social Media – in kurzen Videos, Bildern, Kommentaren. Schnelle Eindrücke, oft ohne Kontext, manchmal voller Wut oder Misstrauen.
Gerade deshalb braucht es Tage wie diesen. Tage, an denen wir bewusst langsamer werden. Tage, an denen wir uns fragen: Was bedeutet Frieden für uns heute? Was bedeutet Verantwortung in unserer Generation?
Denn Frieden ist nicht nur die Abwesenheit von Krieg.
Frieden entsteht durch Menschen, die respektvoll miteinander umgehen.
Die sich nicht von Hass verführen lassen.
Die den Mut haben, anderen beizustehen und die bereit sind, auch kleine Schritte für ein gutes Miteinander zu gehen.
Ich wiederhole gerne mein Zitat aus der Rede vom letzten Jahr: „Tradition heißt nicht, die Asche aufzubewahren, sondern das Feuer zu hüten.“
Wir bewahren nicht die Vergangenheit – wir tragen das weiter, was daraus gelernt wurde. Das Feuer für Menschlichkeit. Für Respekt. Für den Mut, sich einzumischen.
Wir ehren die Toten der Vergangenheit nicht nur durch Kränze und Schweigen, sondern indem wir dafür sorgen, dass die Fehler von damals sich nicht wiederholen. Indem wir heute Haltung zeigen. Indem wir klar für Demokratie eintreten. Indem wir uns weigern, Hass und Ausgrenzung Raum zu geben.
Und wir ehren sie, indem wir die Hoffnung des jungen Soldaten ernst nehmen:
Dass die Welt einmal klüger sein wird.
Lasst uns dafür sorgen, dass diese Hoffnung nicht vergeht – auch in einer Zeit, in der die Geschichte für die jüngeren Generationen keine Erinnerung mehr ist, sondern Verantwortung.
Vielen Dank.
Hans-Georg Hammes
Ortsbürgermeister